Orte der Verwahrung. Die innere Organisation von Gefängnissen, Hospitälern und Klöstern seit dem Spätmittelalter

Orte der Verwahrung. Die innere Organisation von Gefängnissen, Hospitälern und Klöstern seit dem Spätmittelalter

Organisatoren
Gerhard Ammerer, Salzburg; Arthur Brunhart, Vaduz; Martin Scheutz, Wien; Alfred Stefan Weiß, Salzburg
Ort
Schaan/Liechtenstein
Land
Liechtenstein
Vom - Bis
27.09.2007 - 30.09.2007
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Von
Christine Schneider, Universität Wien

Das Thema der Tagung waren die Gemeinsamkeiten und Divergenzen zwischen Gefängnissen, Hospitälern und Klöstern als „Orten der Verwahrung“, wobei der zeitliche und thematische Rahmen der Referate weitgespannt und heterogen war - von den spätmittelalterlichen Klöstern und Hospitälern bis zu den Gefängnissen der ehemaligen DDR. Alle Vorträge behandelten die innere Organisation solcher Disziplinierungsanstalten sowie ihre Begrenzung und Abschließung nach außen. CHRISTINA VANJA (Kassel) plädierte in ihren einführenden Überlegungen dafür, primär zu differenzieren, welche Personengruppen bzw. Institutionen mit welchen Intentionen unterschiedliche „Orte der Verwahrung“ einrichteten. Vanja stellte zur Diskussion, ob die geringe Anzahl der Versorgungsplätze in Klöstern, Hospitälern oder anderen sozialen Einrichtungen in der Frühen Neuzeit überhaupt gesellschaftlich relevant war, da von einer flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung keinesfalls gesprochen werden kann.

Die historische Forschung widmete sich bis dato vornehmlich dem Anstaltsalltag, den Tages- und Hausordnungen und ihrer Nichtbeachtung. Ein wesentliches Element der Anstaltsordnungen ist die Arbeit, welche die Insassen von Zuchthäusern und Gefängnissen, aber auch von Hospitälern und Klöstern verrichteten. Die (körperliche) Arbeit ist in erster Linie ein Mittel der Erziehung und Disziplinierung. Wirtschaftliche Überlegungen traten dem gegenüber in den Hintergrund. Hinzu kommt die religiöse Dimension von Arbeit – auch in Form der verpflichtenden Gebetsleistungen für Stifter und Wohltäter. Von mehreren Tagungsteilnehmern wurde die strikte Trennung des Personals („Stab“) von den „Insassen“, wie sie Erving Goffman postuliert, in Frage gestellt.1 Überwachung und Kontrolle charakterisieren alle „Orte der Verwahrung“. Die Insassen sind einer strengen Anstaltsordnung unterworfen, können diese aber auf unterschiedlichste Art und Weise unterlaufen und sabotieren. Als „Stubenälteste“ in Hospitälern oder als Informanten für das Wachpersonal in Gefängnissen partizipieren Insassen legitim an der Macht des Personals. Das Konzept von „Herrschaft als sozialer Praxis“ ist auch für die Analyse gruppendynamischer Vorgänge in Disziplinaranstalten hilfreich.2 Eine absolute Überwachung und Kontrolle, sowohl der Ordnung im Inneren als auch der Außengrenze sind letztendlich nicht realisierbar. Die Biographien der Anstaltsinsassen, ihr Leben vor der Aufnahme und nach der Entlassung, sind aus den Quellen schwerer zu erfassen und gehören noch zu den Forschungsdesideraten. Wissenschaftliche Untersuchungen über „Orte der Verwahrung“ sollten auch die Außenwelt der Institutionen miteinbeziehen, denn auch außerhalb der Anstalten gelten Ordnungen, Zwänge und Begrenzungen unterschiedlichster Art.

Zucht-, Arbeitshäuser und Gefängnisse
Die erste Sektion eröffnete HELMUT BRÄUNER (Leipzig) mit einem Vortrag über die Entstehungsgeschichte der obersächsischen Zucht- und Arbeitshäuser zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Die Expansion der gewerblichen Produktion sowie des Berg- und Hüttenwesens führte zu einem starken Wachstum der städtischen Bevölkerung, verbunden mit einem hohen Anteil an Armen. Die Städte, die Kirchen und der im Ausbau begriffene frühneuzeitliche Territorialstaat entwickelten gemeinsame Strategien der Armuts- bzw. „Armenbekämpfung“. Ein aufgeblähter „Beobachtungs-, Erfassungs- und Verfolgungsapparat“ sollte die Differenzierung zwischen „würdigen“ und „unwürdigen“ Armen gewährleisten. Dazu kamen immer umfangreicher werdende Armen-, Bettel- und Almosenordnungen bzw. die Vertreibung fremder Bettler. Gleichzeitig wurden die für die Armenfürsorge zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel geringer. Alle diese Faktoren führten 1716 zur Errichtung des ersten sächsischen Landeszuchthauses Waldheim, dem das Referat von FALK BRETSCHNEIDER (Paris) gewidmet war. Bretschneider versteht den „Raum“ (des Landeszuchthauses) als „ein relationales, dynamisches und historisch wandelbares Gebilde, das in menschliche Handlungsverläufe integriert ist“. Der „Eigen-Raum“ des Zuchthauses wird u. a. durch die Markierung mit Insignien der Macht (z. B. der in der Mitte des Anstaltshofs aufgestellten Züchtigungssäule) kreiert und muss in der Folge „durch das Handeln der sich in ihm bewegenden Menschen hergestellt, reproduziert und verfestigt werden“. Zur Organisation des „repetitiven Anstaltsalltags“ gehörten die geordneten Gänge der Hausbewohner in die Kirche, zur Arbeit und zum Essen sowie das Patrouillieren der Wachmannschaften. Mit den aus der klösterlichen Tradition übernommenen Glockenzeichen wurden die verschiedenen „Bausteine“ des Zuchthausraums mit der zeitlichen Dimension verknüpft. Die Insassen etablierten – allen Verboten und Kontrollen zum Trotz – „Gegen-Räume“ innerhalb der Anstalt. Z.B. waren in den gemischtgeschlechtlichen Zuchthäusern Schwangerschaften an der Tagungsordnung. Auch Kontakte zwischen den Insassen und den Bewohnern der angrenzenden Dörfer ließen sich nicht verhindern.

RUPERT TIEFENTHALER (Vaduz) und WOLFGANG SCHEFFKNECHT (Lustenau) thematisierten die spezielle Situation des Gefängniswesens in Kleinstterritorien. Tiefenthaler gab einen Überblick über den Strafvollzug in Liechtenstein seit dem frühen 17. Jahrhundert. Bis zum Jahr 1991, als ein eigenes Landespolizeigebäude errichtet wurde, gab es in Liechtenstein kein eigenes Gefängnis. Die Gefangenen wurden zunächst in zwei Kerkerzellen im Schloss Vaduz untergebracht. Seit 1905 befanden sich sieben Zellen im neu errichteten Regierungsgebäude. Diese Gefängnisräumlichkeiten dienten lediglich der Untersuchungshaft, der eigentliche Strafvollzug wurde im benachbarten Ausland durchgeführt. Die liechtensteinischen Gefängnisse beherbergten neben den Gefangenen auch geistig Kranke. Die Bewachung erfolgte mehr durch soziale Kontrolle von außen als durch professionelles Personal. Scheffknecht untersuchte am Beispiel der Reichsgrafschaft Hohenems und des Reichshofs Lustenau „wie eine kleine, notorisch verschuldete reichsunmittelbare Herrschaft mit dem Anspruch des sich herausbildenden frühmodernen Staates, Menschen durch Einsperren zu strafen, zu disziplinieren und auch zu erziehen, umgegangen ist“. Auch in Lustenau existierte kein eigenes Gefängnisgebäude. Gefangene wurde im „Narrenhaus“ und – kurzfristig – im Haus des Hofammanns, in der gräflichen Taverne oder in Privathaushalten „verwahrt“. Hohenems und Lustenau beteiligten sich schließlich am Zucht- und Arbeitshaus des Konstanzer Kreisviertels in Ravensburg.

LUKAS GSCHWEND (St. Gallen) referierte über die frühneuzeitliche Freiheitsstrafe aus der Perspektive der Rechtsgeschichte. Ab dem 16. Jahrhundert wurde die Freiheitsstrafe mit der Zielsetzung der moralischen Besserung durch (Zwangs)arbeit verbunden. 1614/15 wurde das „Schellenwerk“ in Bern als erstes Arbeits- und Zuchthaus in der alten Eidgenossenschaft in Betrieb genommen. Darin festgesetzte Kleinkriminelle und Bettler wurden u.a. zur Straßenreinigung herangezogen, wobei sie Fußfesseln und ein eisernes Halsband mit einer Schelle (Glocke) tragen mussten. SABINE PITSCHEIDER (Innsbruck) sprach über das Provinzialzwangsarbeitshaus Schwaz/Tirol im 19. Jahrhundert. Trunkenheit, Arbeitsscheu, Störung der öffentlichen Ruhe, Gewalttätigkeit und Nichtsesshaftigkeit waren die gängigen Gründe für eine Einweisung. Bei Frauen konzentrierte sich die Obrigkeit zudem auf sexuelle Verfehlungen. Die Insassen arbeiteten in der hauseigenen Textilfabrik, Männer wurden auch zur Arbeit im Bergwerk eingesetzt. Die Teilnahme am Religionsunterricht war für alle verpflichtend. Nach der Entlassung hatte die Heimatgemeinde für Arbeit und Unterkunft des ehemaligen „Zwänglings“ zu sorgen. Gab dieser/diese Anlass zu Klagen oder verließ er/sie den zugewiesenen Arbeitsplatz, konnte eine neuerliche Einweisung veranlasst werden.

Die Referate von TOBIAS WUNSCHIK und GERHARD SÄLTER (beide Berlin) behandelten den Strafvollzug in der ehemaligen DDR. Wunschik sprach über die „Ökonomie erzwungener Arbeit“. Ungeachtet hoher Arbeitsvorgaben, minimaler Entlohnung und äußerst schlechter Arbeits- und Lebensbedingungen war der Arbeitseinsatz in den Gefängnissen defizitär. Bei der Verteilung der Gefangenen auf Haftanstalten und Arbeitsplätze wurden berufliche Qualifikationen nicht berücksichtigt. Manche politische Gefangenen weigerten sich explizit, Arbeit für den sozialistischen Staat zu verrichten („Langsam-Arbeite-Bewegung“). Der gesundheitliche Zustand vieler Häftlinge war schlecht. Hinzu kamen ein hoher administrativer Aufwand bei der Verwaltung des Arbeitseinsatzes sowie konzeptionelle und praktische Defizite der Arbeitsorganisation: Fehlplanung, Materialmangel und der Missbrauch der Arbeitskraft der Gefangenen für private Zwecke. Sälter sprach über die Strafanstalt Bautzen II, die im Gefängnissystem der DDR aufgrund des hohen Anteils von Häftlingen mit politischen Delikten und von Gefangenen aus dem westlichen Ausland (BRD) eine Sonderfunktion einnahm. Hinzu kamen frühere Angehörige des Staats- und Parteiapparats, der Sicherheitsbehörden sowie des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), die entweder als Geheimnisträger galten oder deren Delikt nach Möglichkeit vor der Bevölkerung geheim gehalten werden sollte. Aus dieser speziellen Zusammensetzung der Insassen und den Interessen des MfS resultierte eine Politik der strikten Separation der unterschiedlichen Häftlingsgruppen sowie eine hohe Personaldichte. Es war in Bautzen II sehr viel besser möglich die alltäglichen Bewegungen und das Verhalten der Gefangenen zu überwachen und Verstöße zu sanktionieren. Überwachung geschah einerseits durch so genannte „Erzieher“ und andererseits durch das Aufsichts- und Wachpersonal, sowie durch „Funktionshäftlinge“ und Informanten unter den Gefangenen.

Hospitäler
In der zweiten Sektion befassten sich die Vorträge von STEFAN SONDEREGGER (St. Gallen), ALFRED STEFAN WEISS (Salzburg), CARLOS WATZKA (Graz) und SEBASTIAN SCHMIDT (Trier) mit den unterschiedlichen Aspekten frühneuzeitlicher Hospitäler im deutschen Sprachraum. Sonderegger regte an, die materiellen Grundlagen und die Wirtschaftsführung frühneuzeitlicher Hospitäler intensiver zu erforschen. Das städtische Spital von St. Gallen war im 15. Jahrhundert ein typisches Pfrundhaus. Es diente der Bevölkerung als Altenheim bzw. „Seniorenresidenz“, war aber gleichzeitig auch ein bedeutender Wirtschaftsfaktor in der Stadt und in der Region. Der große Grundbesitz ermöglichte, über die Selbstversorgung hinaus, den Verkauf von Getreide, Fleisch und Wein. Das Spital hatte damit eine wichtige Funktion für die Nahrungsmittelversorgung der Region, war aber auch Kreditgeber für die ländliche Bevölkerung. Weiß plädierte dafür die Machtbeziehungen zwischen Hospitalspersonal und Insassen nicht als ein „oben“ und „unten“, sondern als „Kräftefeld“ zu analysieren. Insassen konnten z. B. in ihrer Funktion als „Stubenälteste“ Macht ausüben. Das Personal war im Anstaltsalltag auf die Kooperation der Insassen, die ihr Recht auf eine den Statuten entsprechende Versorgung mitunter auch lautstark einforderten, angewiesen. Das theoretische Konstrukt des „kasernierten Raumes“ ist für Hospitäler damit nur bedingt anwendbar. Watzka wies in seinem Referat über die Hospitäler in der frühneuzeitlichen Steiermark darauf hin, dass unter den Begriff des „Hospitals“ sehr unterschiedliche Einrichtungen fallen. Die zahlreichen Hospitäler in Kleinstädten, Märkten und Dörfern waren eher „Orte der Versorgung“ als „Orte der Verwahrung“. Die Insassen dieser klein(st)en Spitäler genossen lediglich eine sehr dürftige Grundversorgung sowie die Berechtigung zum Betteln. Sie unterlagen eher der sozialen Kontrolle durch die Umgebung (von außerhalb des Spitals) als einer Anstaltsordnung im eigentlichen Sinn. Schmidt sprach über die Multifunktionalität und Unterschiedlichkeit von Hospitälern am Beispiel der „Hospitalslandschaft“ an Mittelrhein und Mosel. Zahlreiche Hospitäler waren zu Anfang des 18. Jahrhunderts durch vernachlässigte Aufsicht in einem Niedergang begriffen, hinzu kam die Zweckentfremdung der Finanzmittel. In Anlehnung an den Tagungstitel sprach Schmidt daher eher von „Orten der Verwahrlosung“ als „Orten der Verwahrung“. Der Kurfürst Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg versuchte das gesamte Gerichts- und Aufsichtswesen über die Hospitäler und Stiftungen neu zu ordnen. Die Einsetzung der Oberkommission „ad pias causas“ im Jahre 1729 war ein erster Schritt hin zu einer Zentralisierung des gesamten Fürsorgewesens, änderte aber wenig an den Zuständen in den Hospitälern. MARTIN SCHEUTZ referierte über die Armenversorgung in der Haupt- und Residenzstadt Wien im 19. Jahrhundert am Beispiel des nicht-bürgerlichen Versorgungshauses „Alserbach“. Die Wiener Versorgungshäuser und ihr Verschubsystem von Pfleglingen auf das Land boten den in Wien heimatberechtigten Armen und Alten eine Unterbringung, medizinische Versorgung und Pflege sowie eine gesicherte Bestattung. 1895 existierten in der Habsburgermonarchie 1486 solcher Versorgungsanstalten, die mit Ausnahme weniger Einzelstudien, ein Forschungsdesiderat darstellen. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts gerieten die Wiener Versorgungshäuser als baufällig, feuergefährlich und sanitätswidrig in die Kritik der Mediziner und Verwaltungsfachleute. Mit der Errichtung des Versorgungsheimes Lainz als einer modernen Ansprüchen entsprechenden Zentralanstalt in den Jahren 1903–1904, wurden die alten Versorgungshäuser aufgelöst.

Klöster
HEINZ DOPSCH (Salzburg) eröffnete die Klostersektion mit einem Überblick über die stabilitas loci in den unterschiedlichen Orden der katholischen Kirche. In der Ordensregel des Hl. Benedikt ist die stabilitas loci, die als ein Charakteristikum des Benediktinerordens gilt, nicht festgeschrieben. Vielmehr handelt es sich um eine (spätere)Interpretation der Benediktregel. Auch die Pfarrseelsorge, wie sie die „alten Orden“ der Benediktiner, Zisterzienser, Augustiner Chorherren und Prämonstratenser in ihren inkorporierten Pfarren leisten, ist mit einer stabilitas loci im strengen Sinn nicht vereinbar. Die Bettelorden der Dominikaner, Franziskaner und Kapuziner zeichnen sich durch große Mobilität aus, was ihren Einsatz in der Ketzerbekämpfung erst ermöglichte. Die Jesuiten, die weder stabilitas loci, noch Chorgebet oder Habit kennen, begannen mit der Weltmission. Ihrem Beispiel folgten die männlichen und weiblichen Missionsorden der Frühen Neuzeit und des 19. Jahrhunderts. LORENZ HOLLENSTEIN, Stiftsarchivar in St. Gallen, zeichnete am Beispiel der unterschiedlichen Klosterämter ein lebhaftes Bild vom geistlichen und weltlichen Leben in der Fürstabtei St. Gallen zwischen 1600 und 1800. Deren Mönche führten ein monastisches Leben nach der Ordensregel des hl. Benedikt, übten aber gleichzeitig eine Vielzahl unterschiedlicher Tätigkeiten in der geistlichen und weltlichen Landesverwaltung aus, zu einem großen Teil auch in den auswärtigen Besitzungen und Pfarren. Die Fürstabtei war also kein „Ort der Verwahrung“ im herkömmlichen Sinn, aber die St. Gallener Benediktiner waren, so das Fazit von Hollenstein, in einem positiven Sinn verwahrt in der Regel ihres Ordensgründers. Die Referate von CHRISTINE SCHNEIDER (Wien) und UTE STRÖBELE (Stuttgart) waren den Frauenklöstern des 18. Jahrhunderts gewidmet. Schneider referierte über die Klausur und klösterliche Organisation in den österreichischen Ursulinenkonventen. Innerhalb der Klausur fanden die Chorgebete, manuellen Arbeiten, gemeinsamen Mahlzeiten und Rekreationsstunden tagtäglich zu festgesetzten Zeiten an den dazu gewidmeten Orten statt. Bei den Chorgebeten und Mahlzeiten saßen die Nonnen lebenslänglich entsprechend der Reihenfolge ihres Eintritts nebeneinander. Insbesondere Visitationsberichte belegen aber, dass die Abschließung nach außen und die Ordnung im Inneren auch in den Nonnenklöstern nicht absolut waren. Schwestern, die sich den (Selbst)zwängen des Klosteralltags nicht unterwerfen wollten oder konnten, wurden in der Enge und Abgeschlossenheit der Klausur zwangsläufig zu Außenseiterinnen. Ströbele sprach über die Aufhebung der Klöster der vorderösterreichischen Franziskaner-Terziarinnen. Die betroffenen Schwestern mussten sich für eine neue „Lebensart“ entscheiden, wobei die überwiegende Mehrheit weder in eines der neu gegründeten „Sammelklöster“ noch in eine andere Ordensgemeinschaft eintraten, sondern „in die Welt“ gingen. Die Motivation für diesen „Massenaustritt“ lag nicht in dem Wunsch begründet, ein weltliches Leben zu führen, sondern in den Vorbehalten und Ängsten gegenüber neuen Gemeinschaften. Drei Nonnen, die seinerzeit von ihren Familien zum Eintritt in den Orden genötigt worden waren, strengten ein kanonisches Verfahren an, um von ihren Ordensgelübden entbunden zu werden.

In der von Gerhard Sälter (Berlin) geleiteten Schlussdiskussion wurden die Tagungsergebnisse – einschließlich der zu vertiefenden Aspekte – noch einmal gebündelt. Gerade die Frage, in welcher Weise so heterogene Institutionen, wie Gefängnisse, Hospitäler und Klöster unter dem Tagungstitel „Orte der Verwahrung“ subsumiert werden können, schärfte den Blick für die Spezifika der einzelnen Institutionen. Eine Führung durch das Stiftsarchiv St. Gallen durch Lorenz Hollenstein rundete das Tagungsprogramm ab. Die Vorträge werden in einem Sammelband publiziert. Eine Folgetagung ist für das Jahr 2009 in Wien geplant.

Konferenzübersicht:

Christina Vanja (Kassel): Einführende Überlegungen

Sektion 1: Zucht- und Arbeitshäuser/Gefängnisse (Vorsitz: Arthur Brunhart/ Gerhard Ammerer/Martin Scheutz)
Helmut Bräuer (Leipzig): Obersächsische Zucht- und Arbeitshäuser vor 1715/16. Projekte – Realisation – Konflikte
Rupert Tiefenthaler (Vaduz): Die Organisation von Strafe. Gefängnis und Arbeitshaus in Liechtenstein
Lukas Gschwend (St. Gallen): Zuchthaus und Schellenwerk. Institutionalisierung, Funktionalisierung und Organisation der frühneuzeitlichen Freiheitsstrafe unter besonderer Berücksichtigung in der alten Eidgenossenschaft
Wolfgang Scheffknecht (Lustenau): Gefängnisse und Gefangene in der Reichsgrafschaft Hohenems und im Reichshof Lustenau während der frühen Neuzeit
Falk Bretschneider (Paris): Zuchthaus und Gefängnisarchitektur im 18. und 19. Jahrhundert anhand sächsischer Beispiele
Sabine Pitscheider (Innsbruck): „Bis zur Besserung“. Die Praxis von Einweisung, Anhaltung und Entlassung im Provinzialarbeitshaus Schwaz/Innsbruck 1825–1860
Tobias Wunschik (Berlin): War der DDR-Strafvollzug lukrativ? Zur Ökonomie erzwungener Arbeit
Gerd Sälter (Berlin): Überwachen und Strafen in einem Gefängnis der DDR: Das besondere Beispiel Bautzen II

Sektion 2: Hospitäler (Vorsitz: Alfred Stefan Weiß)
Stefan Sonderegger (St. Gallen): Wirtschaft mit sozialem Auftrag. Zur Wirtschaftsführung des Heiliggeistspitals St. Gallen im 15. Jahrhundert
Alfred Stefan Weiß (Salzburg): Österreichische Hospitäler als „kasernierter Raum“? Norm und Realität
Carlos Watzka (Graz): Verwahrung – Versorgung – Renormalisierung: Hospitäler in der frühneuzeitlichen Steiermark und die Rolle der katholischen Hospitalorden bei deren Funktionswandel
Sebastian Schmidt (Trier): „Scandalös undt intolerabell“. Zur Verwaltungspraxis und Kontrolle frühneuzeitlicher Hospitäler an Mittelrhein und Mosel
Martin Scheutz (Wien): Gleichmachung, Versorgung und Disziplinierung. Die Wiener Versorgungshäuser im 19. Jahrhundert

Sektion 3: Klöster (Vorsitz: Christina Vanja)
Heinz Dopsch (Salzburg): Von der stabilitas loci zur Weltmission. Zum Wandel der Ordensregeln vom Frühmittelalter bis in die frühe Neuzeit anhand von österreichischen Beispielen
Lorenz Hollenstein (St. Gallen): Die innere Organisation des Klosters St. Gallen
Christine Schneider (Wien): „Unser geistliches Haus“. Klausur und innere Organisation der österreichischen Ursulinenklöster im 18. Jahrhundert
Ute Ströbele (Stuttgart): „Freyheit und Erleichterung oder erforderliche Verwahrung“. Vorderösterreichische Frauenklöster im Spannungsfeld der josephinischen Klosterpolitik

Schlussdiskussion (Vorsitz: Gerhard Sälter)

Anmerkungen:
1 Goffmann,Erving, Asyle. Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen, Frankfurt am Main 1973.
2 Lüdtke, Alf (Hrsg.), Herrschaft als soziale Praxis: Historische und sozialanthropologische Studien, Göttingen 1991.